Benutzer-Werkzeuge

Webseiten-Werkzeuge


poi:stadtgeschichte:gebert1956

Gebert 1956

I. ABSCHNITT: die poltische Geschichte

Frühgeschichte

1. Die jüngere Steinzeit

Mittelalter

12. Unter dem Mainzer Rad

Bestätigung des Stadtrechts

Die Stadtbefestigung im Jahre 1450


(102)

Die alte Stadtmauer

Die Stadtbefestigung erfolgte in dem Zeitraum von 1400 - 1450. Die Ummauerung der Stadt sollte ein Rechteck bilden, das vermutlich auf das alte Vorbild der früheren römischen Siedlung zurückgriff. In der Form des unregelmäßigen Viereckes glich das ummauerte Städtlein dem unteren Kastell und kann in seinen Ausmaßen auf das erste und ursprüngliche Römerkastell zurückgehen. An den heutigen dürftigen Überresten gemessen, mißt die ehemalige Stadtmauer auf der Südseite von Stadtturm bis zur Scheune von Karl Ebel 185 m, die Nordseite vom Seedamm bis zur Kilianskapelle 217 m, die Westseite vom Anwesen Karl Ebel bis zum Seedamm 139 m, die Ostseite vom Stadtturm bis zur Kilianskapelle 211 m. Das wäre eine Fläche von 3 1/2 Hektar (das Doppel-Kastell 3.42 ha.). Heute befinden sich innerhalb der alten Stadtmauern noch 126 Wohnhäuser. Berechnen wir für jedes Wohnhaus und Familie durchschnittlich 5 Personen, so dürfte das Städtlein damals 630 Einwohner gezählt haben.

Heute noch sind schwache Überreste der ehemaligen Stadtmauer zu sehen, vor allem am Seedamm, beim Gasthaus zum Badischen Hof und am Geisberg. In der Erinnerung der alten Osterburkener lebt die Stadtmauer noch in vielen Denkwürdigkeiten und Erzählungen fort.

Als beim Bau des Pfarrhauses im Jahre 1889 die alte Pfarrscheuer neben dem Stadtturm abgerissen wurde, mußte ein beträchtliches Stück der Stadtmauer freigelegt werden, „ein mächtiger Mauerkoloß, hart wie ein Amboß“ wie die Maurer erzählten. Die Scheunen hinter der Kirche sind alle auf die frühere Stadtmauer aufgesetzt. Bis vor Jahren konnte man beim Anwesen des Bäckers Robert Bauer noch einen Rest der Staddtmauer sehen. Beim Anwesen Faulhaber-Pfoh in der Mühlgasse und hinter der Scheuer von Burkard Schmitt ist die Stadtmauer bis zum Mauervorsprung erkenntlich, wurde allerdings in neuerer Zeit verputzt. Bei der Zehntscheuer in der Brunnenstraße war nach Aussage der ältesten Leute früher ein kleiner Durchgang mit einem steinernen Bogen, der in die Gärten vor der Stadt führte, in die „untere Aue“. Vor dem Stegmaierschen Haus (heute Armbros Merz) war ein tiefer, mit Schlamm gefüllter Graben, der letzte Rest des alten Stadtgrabens. Als die alte Schießin hineinfiel, wurde er zugeschüttet. Als der alte Haberkorn im heutigen Anwesen von August Gehrig im Jahre 1906 sein Haus baute, mußte er zuerst ein massives Stück der alten Stadtbefestigung mühsam abreißen. Die Mauer soll dort 80 cm dick gewesen sein. Auch die benachbarte Scheuer ruht auf der alten Schutzwehr. Über den niederen Mauersockel wären die Bewohner des Brunnenviertels oft hinweggestiegen, um schneller in den Seedamm zu gelangen, der damals nur ein schmaler Pfad gewesen sein soll. Leo Leitz erzählte: „Als er seine Küche ausbaute und ein neues Fenster einsetzte, mußte altes Mauerwerk von 1 m Dicke durchgebrochen werden. Maurer Bachert kam mit einem schweren Brecheisen und hatte zu tun, um Brocken um Brocken dicker Wackensteine aus dem festsitzenden Mauerwerk herauszubrechen. Nach dem Seedamm zu war die Stadtbefestigung bis zur Abschlußplatte am längsten erhahen geblieben in einer Höhe von 2.20 m und einer Breite von 0.92 m. Die Kinder hatten einen besonderen Stolz, daß ihr Haus auf 500 Jahre altem Mauerwerk der ehemaligen Stadtmauer steht“. Beim Gasthaus zum Badischen Hof, wo das untere Stadttor stand, sind ebenfalls noch Reste der Stadtummauerung sichtbar. Wenn in früheren Jahren dort die Kinder spielten, wurden sie aus ängstlicher Besorgtheit von den Erwachsenen von der „alten brüchigen Mauer“ heruntergejagt. Im Garten im Seedamm vor der Stadtmauer hatte die alte Walzenbachin immer Angst, von der alten hohen Mauer falle etwas herunter und ihr auf den Kopf. Auch das Haus von Karl Ebel sitzt auf der Stadtmauer. Im Garten der beiden Gramlich ist die Mauer heute noch 1 m hoch und 1.35 m breit. Am Geisberg läßt sich heute noch ermessen, wieviel Zeit und Mühe es kostete, an dem steilen Abhang zu bauen. An der Rückseite des Hauses von Emilie Hammel am Geisberg ist die alte Stadtmauer noch am ursprünglich-


(103)

sten erhalten geblieben mit einer Höhe von 3.40 und einer Breite von 0.95 m. Beim Anwesen von Theodor Karle ist ein Rest von 1/4 m Höhe zu sehen. Auch düe Häuser von Karl Schmitt und Karl Volk ruhen ganz auf der ehemaligen Stadtbefestigung. Als eine Wasserleiitung gegraben wurde, stieß man auf die Überreste von zwei alten Mauerzügen, die etwa 2 - 3 m auseinanderlagen. Vielleicht rühren diese Ruinen von einem alten Wehrgang oder einer alten Burg her, die von hier zum Stadtturm führte. Interessant dürfne auch sein, daß die Flurprozession am Markustag (25. April) heute noch um die Stadtmauer zieht und im Volksmund lautet: „hinter der Stadt herumwallen“.

Wir sehen, Alt-Borcken glich 1450 schon einer kleinen Festung, die damals, als das Schießpulver erst erfunden war, in Kriegszeiten den Bewohnern Schutz und Wehr gegen Angriffe von äußeren Feinden bieten konnte. So schön sich heute noch das Brunnen und Geisviertel dem Pinsel und der Kamera geben und den Freund mittelalterlicher Romantik mit den alten Gäßchen und altertümlichen Winkeln erfreuen, so unhygienisch waren aber auch und sind heute noch die Wohnverhältnisse. Viele Wohnungen haben wenig, eine ganze Anzahl das ganze Jahr überhaupt keine Sonne. Wo noch Landwirt-


(104)

schaft innerhalb der alten Stadtmamern vorhanden ist, sind Vieh- und Schweineställe im ersten Stock, darüber die Wohnräume. Dringend notwendig war die Kanalisation, diese erfolgte 1953. Dung- und Jauchegruben liegen in den engen Gassen in unmittelbarer Nähe der Wohnungen. Kein Wunder, daß die Wohungs- und Gesundheitsverhältnisse viel zu wünschen übrig lassen. Nach den Angaben des Statistischen Landesamtes: „50 Jahre Krebssterblichkeit in Baden“ sind von 1881 - 1930 in Osterburken an Krebs oder krebsartigen Krankheiten gestorben: 71 Personen, d. h. 0.96 auf 1000 Einwohner, wobei Osterburken an 10. Stelle aller Orte des Landkreises Adelsheim steht.

Der Stadtturm

Die Stadttore


Neuzeit


(174)

21. September: Große Luftschutzübung für die ganze Gemeinde.
9. September: Leuchtbomben feindlicher Flieger über dem „Eber„.
1. November: An Allerheiligen kein Feiertag - es muß gearbeitet werden.

1942

9. März: Die Glocken der Pfarrkirche werden beschlagnahmt. Kriegerkameradschaft und Musikkapelle sollen bei den kirchLichen Trauerfeiern für Gefallene nicht mitwirken.

1943

4. April: Fast jede Woche Fliegeralarm.
29. Juni: Dortmunder Schulkinder unter Rektor Schmitz treffen hier em. Das HJ-Heim wird ihnen für den Unternicht zur Verfügung gestellt.

1944

22. Februar: Schreckliche Fliegernacht! „Christbäume“ über Osterburken. Sechs schwere Bomben werden zwischen hier und Marienhöhe abgeworfen. Bei einem Kontrollgang am 23. Februar wird Alois Hammel von einem Blindgänger auf der Marienhöhe zerrissen.
15. Oktober: Ununterbrochen Voralarm - Vollalarm - Entwarnung. Von 10.00 Uhr abends bis 2 Uhr nachts im Luftschutzkeller. Es wird immer toller. Wie soll das enden?
5. Dezember: Abends 10 Uhr fallen die ersten schweren Bomben auf die Anwesen von Oswald Leitz, Heinrich Volk und Emil Hofmann. GottseidanK keine Tote. Das Kreuz im Seedamm vollständig zertrümmert.
15. Dezember: Am Bahnhof Flakgeschütze. Bei Tag und Nacht oft jede Stunde Fliegergefahr. Die serbischen Kriegsgefangenen werden rebellisch. Holländische Flakhelfer betteln von Haus zu Haus Brot und Lebensmittel.

14. Die Ereignisse beim Kriegsende 1945

Im ersten Vierteljahr 1945 hatte die Gemeinde sehr viel unter den ununterbrochenen Fliegerangriffen zu leiden. Die feindlichen Tiefflieger beschossen fast täglich den Bahnhof und die Züge. Oft mußten bei der Frühjahrsbestellung die Frauen auf freiem Feld gegen die „Jabos“ sich im Gebüsch oder im nahen Wald verstecken oder sich in einen Graben legen. Wegen des fast stündlichen Fliegeralarms mußte der Gottesdienst oft ausfallen oder abgebrochen werden. Der Erstkommunionunterricht fand meistens im Luftschutzkeller des Pfarrhauses statt. Wegen der Kriegshandlungen mußte der Weiße Sonntag auf den 29. April verschoben werden.

Ende März rückte die Front immer näher. Alles wurde nervös. „Die Amerikaner sind schon in Buchen im Odenwald eingerückt“, hieß es plötzlich. Zu Beginn der Karwoche wurde das Kirnautal Kriegsschauplatz. Tag für Tag wälzte sich der Troß der geschlagenen deutschen Wehrmacht durch die Straßen des Ortes. An der Straße nach Adelsheim wurde ein 19-jähriger deutscher Soldat, der auf der Flucht ertappt wurde, von einem militärischen Schnellgericht zum Tod verurteilt und an einem Baum aufgehängt. Da der Bahnhof wegen der ständigen Fliegergefahr mit Güterzügen verstopft war, stand vor dem Bahnhof im Tunnel 8 Tage lang ein Sonderzug mit 600 Häftlingen, die aus den Konzentrationslagern des Neckartales nach Dachau befördert werden sollten. In dem Zug starben 18 ausländische Häftlinge des Hungertodes und wurden mitten in der Wiese beim Tunnel begraben. Als die Amerikaner näher rückten, verließen am Gründonnerstag die Wachmannschaften den Zug. Am gleichen Tag verließen auch die meisten Bahnbeamten mit dem letzten Zug den Ort, ebenso flohen die politischen Leiter der NSDAP.

Am späten Abend des 29. März wurden zwei Kompagnien Fahnenjunker aus Biberach hier ausgeladen und zusammen mit einer Panzersperrabteilung in den letzten Abwehrkampf geworfen. Sie bezogen Stellung auf dem Kirchberg und im Spießling, verfügten


(175)

aber nur noch über zwei Geschütze. Der Major, ein älterer und sehr vernünftiger Mann, erklärte: „Wir werden den Ort nicht in Gefahr bringen; sobald die Amerikaner angreifen, werden wir uns links und rechts vom Ort zurückziehen“. Im Rathaus lag über Ostern ein SS-Trupp. Am Karsamstag, den 31. März wurden von einem Sprengkommando der Waffen-SS alle Brücken über die Kirnau gesprengt. Bürgermeister Bauer und Stadtpfarrer Gebert verhandelten vergebens mit dem SS-Kommando, die Brücke mit dem kunstvollen St. Nepomuk zu schonen oder wenigstens die Statue entfernen zu lassen. Es wurde nicht gestattet. Bei der zweiten Sprengung am Sonntag früh wurden viele Häuser um die Brücke herum schwer beschädigt, auch das Schwesternhaus. Der 81-jährige pensionierte Bahnbeamte Wolf wurde durch ein Sprengstück tödlich getroffen. Der St. Nepomukstatue wurde der Kopf abgerissen.

Am Ostersonntag fuhren die ersten amerikanischen Panzerspitzen bereits in die Vorstadt ein. Am Ostermontag wurde der Bahnhof besetzt und bezog die amerikanische Panzerartillerie ad den Höhen des Eber und im Barnholz Ste1lung. In der Nacht vom 2. bis 3. April morgens um 2 Uhr begann ein Artiller,ieduell zwischen beiden feindlichen Stellungen. Alle 20 Minuten flog ein schwerer Brocken krachend und zischend über die Häuser des Städtleins. Gottseidank wurden nur wenige Häuser beschädigt. Ein evakuierter Mann aus Karlsruhe wurde durch einen Granatsplitter so schwer verwundet, daß er nach 8 Tagen starb. Die Bevölkerung mußte sich 13 Stunden lang in Kellern und Bunkern gegen die Beschießung schützen. Im Luftschutzkeller des Pfarrhauses waren allein in jener Nacht 135 Personen. Um 3 Uhr nachmittgas erschienen die ersten amerikanischen Soldaten und pirschten alle Häuser und Keller durch nach deutschen Verteidigern und Munition. In allen Straßen und Winkeln knatterten die amerikanischen Maschinengewehre und Maschinenpistolen. Zwischen 6 - 7 Uhr abends entfachte sich nochmals ein heftiges Gefecht, als die amerikanischen Panzer die Merchinger Straße hinauffuhren. Aus dem Hinterhalt des HJ-Heimes warfen einige deutsche Fahnenjunker Panzerfäuste auf die Panzer. Darauf setzte eine wütige Schießerei vom Galgen und vom Stadtturm aus ein, den die „Amis„ besetzt hielten. Abends 7 Uhr war der letzte Widerstand gebrochen und Osterburken fest in der Hand der Amerikaner. Der englische Rundfunk meldete: schwere Kämpfe in Osterburken gegen deutsche Widerstandsnester.

Von amerikanischer Seite gab es drei Tote und einige Verwundete. Sechs deutsche Soldaten fielen am 3. April bei der Verteidigung von unserem Städt!ein und wurden auf dem hiesigen Friedhof beigesetzt. Ein deutscher Soldat lag 4 Tage lang an der Kapelle tot in einem Graben und konnte nicht begraben werden. Die Männer und Frauen vom Roten Kreuz suchten das ganze Schlachtfeld ab und fuhren auf einem Pritschenwagen die Gefallenen auf den Friedhof. Lobend erwähnt verdient der mutige Einsatz des Sanitäters Peter Wohlfahrt, der am Morgen des 3. April unter Verachtung der eigenen Lebensgefahr im dichten Granathagel einem jungen verwundeten deutschen Soldaten, der hinter der Kapelle Panzerfäuste auf die vorrückenden Amerikaner schleuderte, auf dessen Rufen zu Hilfe eilte. Sein Begleiter, ebenfalls ein Osterburkener Bürger, wurde leicht verletzt, als sie den Verwundeten auf einer Tragbahre ins nahe Krankenhaus schleppten.

Nach dem Einmarsch der amerikanischen Truppen glich die Stadt durch 14 Tage einer Frontstadt. überall wimmelte es von Militär, die Straßen voller Panzer und Geschütze und Jeeps. Die besseren Wohnungen mußten oft innerhalb einer Stunde geräumt werden und die neuen Herren machten sich darin wohnlich. In wenigen Tagen war eine Notbrücke über die Kirnau gebaut. Es gab plötzlich wieder Kaffee und Schokolade, aber auch Diebstähle und selbst Vergewaltigungen. Die einheimische Bevölkerung erhielt ein Ausgehverbot von abends 8 Uhr bis morgens 8 Uhr! Wie wohl tat die Ruhe nach den unausgesetzten nächtlichen Fliegerangriffen!


(176)

Zu einem Verhängnis in diesen ereignisreichen Tagen wurde es, daß in der Nacht vom 3. - 4. April die im Tunnel eingeschlossenen 600 Häftlinge frei wurden. Sie stammten aus allen Nationen: hauptsächlich Franzosen, Polen, Tschechen, Jugoslaven, aber auch einige Deutsche. Unter ihnen politische und kriminelle Gefangene. Einige wenige kamen am Mittwoch Morgen in das Gotteshaus und weinten vor Freude, daß nach jahrelanger Verfolgung die Stunde der Freiheit für sie geschlagen hatte. Viele werden sich noch an den schmalen und schlanken Warschauer Professor erinnern, der fast jeden Morgen in die hl. Messe kam. Die Verbrecher unter den Kz'lern gingen sofort wieder ihren dunklen Instinkten nach: stahlen, plünderten, raubten, vergewaltigten Frauen, Mädchen und selbst Kinder. Die amerikanische Feldgendarmerie mußte in jener furchtbaren Nacht gleich drei Schwerverbrecher festnehmen. Der ganze Ort war überflutet von diesen Jammergestalten ausgehungerter Skelette in ihren blau-weißgestreiften Hosen und Jacken. Man nannte sie nur die „Zebra“. Mit einem Heißhunger stürzten sie sich auf alles, was eß- und genießbar war. Die Häftlinge wurden von dem amerikanischen Ortsgouverneuer nach Nationalitäten auf die verschiedenen Gasthäuser und das Schulhaus verteilt. Es entstand ein französisches, polnisches, russisches und tschechisches Lager. Die deutschen Kz'ler suchten sich selbst in einzelnen Häusern ein Privatquartier.

Leider fügte sich ein Großteil der „Zebras“ nicht den amerikanischen Anordnungen, sondern gingen ihren Freiheitsgelüsten nach, raubten Schweine, Schafe. Hühner und Gänse, schmorten sie im Freien und verrichteten ihre Notdurft an allen Ecken. Die freigewordenen kriegsgefangenen Russen - im Flachswerk waren 40 russische Studentinnen und Ukrainer, Serben, Franzosen und Polen - drangen in die Wohnungen ein und raubten sich die besten Kleider, Schmuck und Wertgegenstände, ja ganze Flüchtlingskoffer. Verwirrend wurde das allgemeine Chaos noch dadurch, daß einige SS-Leute sich in die Kleider der Zebra-Leute steckten und mithalfen, die ohnehin heimgesuchte Bevölkerung auszunützen. Einmal mußten die Amerikaner mit Panzer und Maschinengewehren auffahren um gegen einen verwegenen „Osterburkener„ Jagd zu machen, der sich in eine russische Offiziersuniform geworfen hatte und in der weiten Umgebung Radios, Autos, Maschinen und Lebensmittel requirierte.

Ein großer Teil der Häftlinge war sterbenskrank (Typhus). Das Gasthaus zum Löwen wurde notdürftig zum Hospital eingerichtet. In allen verfügbaren Räumen lagen diese ausgemergelten Elendsgestalten, die nur noch Haut und Knochen waren. In den nächsten Tagen wurde das Strohlager durch Matratzen ersetzt, die von der Bevölkerung herbeigebracht wurden. Die kirchliche Caritas veranstaltete eine Kleider- und Wäschesammlung, um die notdürftig gekleideten Kz'ler neuauszustatten. Die Krankenschwestern vom Josefshaus haben in der Pflege der Sterbenskranken Heldenhaftes geleistet. Etwa 16 Häftlinge, meist Franzosen und Polen, starben in den ersten Tagen und wurden in einem Massengrab auf dem Friedhof begraben. Unter ihnen soll der Bruder des Bürgermeisters von Lyon liegen. Nach 4 Wochen wurden alle Kranken vom amerikanischen und französischen Roten Kreuz übernommen und nach Mosbach gebracht, zumal es in jenen Tagen an Wasser, Licht, Strom, Medikamenten und den nötigsten hygienischen Einrichtungen fehlte.

Die französischen Häftlinge bildeten gleich in den ersten Tagen zwei Komitees: ein kommunistisches und ein degaullistisches, an deren Spitze je ein Präsident und Polizeipräfekt stand. Waren doch viele Zebras Polizisten, Beamte und ein Abgeordneter der Deputiertenkammer. Dr. Jean Bernex, Député de Haute-Savoie, schrieb dem Verfasser dieser Zeilen noch viele Jahre und bedankte sich immer wieder, was die braven Einwohner von Osterburken ihm und seinen Kameraden getan haben. Als er am 3. Januar 1947 an den Folgen der Deportation starb, teilte seine Gattin den Tod mit und erwähnte nochmals die Wohltaten, die ihr Mann im Pfarrhaus von Osterburken erfahren hatte.


(177)

Die „Präsidenten“ der beiden Comites nahmen nun Verhaftungen unter den Angehörigen der früheren Pg's vor, verhafteten auf wilde Denunziation hin oft auch ganz unschuldige Menschen. In dieser schlimmen Zeit hatte Osterburken einen rettenden Engel und helfenden Anwalt. Es war der heutige französische Geistliche und Vikar André Etrillard, der während des Krieges als Kriegsgefangener bei der Familie Franz Schmitt arbeitete. Es war ihm gestattet gewesen, im Hause seines „patron“ jeden Morgen zwischen 4 - 5 Uhr hinter vergittertem Fenster und verschlossener Türe in seiner Knechtskammer die hl. Messe zu feiern. Als er kurz vor Kriegsende einmal brevierbetend in der Küche des Hauses von einer SS-Streife angetroffen wurde, mußte er Osterburken verlassen und kam in ein Gefangenenlager nach Ruchsen. Jetzt tauchte er plötzlich auf, wurde im gaullistischen Comite „Innenminister„ und versicherte dem „Hohen Tribunal“ immer wieder, daß die Mehrzahl der hiesigen Einwohner keine „Hitler“ waren, und die Bauern hier die Kriegsgefangenen sehr anständig behandelt haben. Die Osterburkener dürfen nie vergessen, was sie in diesen grauenerfüllten Wochen des Kriegsendes dem französischen Vikar Etrillard, Stadtpfarrer Gebert, P. Cäsarius Koch aus Beuron, der immer wieder als Dolmetsch bei den amerikanischen Stellen für die Gemeinde vorsprach, Vikar Hassler, und nachher Kaplan Wieland, der als Sanitäter aus dem Krieg zurückkam, verdankten. Mit 7 Zeugen aus der Gemeinde stand Stadtpfarrer Gebert am 6. Juni 7 Stunden lang vor dem amerikanischen Kriegsgericht in Mergentheim, weil er am Samstag, den 6. Mai gegen einen plündernden amerikanischen Soldaten zum Schutz von zwei Frauen sich energisch zur Wehr setzte und von dem Amerikaner mit dem Gewehr dreimal mißhandelt wurde. Am 13. Mai hielt die ganze Pfarrgemeinde einen feierlichen Dankgottesdienst und am Abend mit Erlaubnis des amerikanischen Ortskommandanten eine Lichterprozession durch die Straßen. An der Prozession nahmen die meisten katholischen Häftlinge, die serbischen und französischen Kriegsgefangenen und alle Evakuierten teil. Beim Totengedenken am Schluß vor der Kirche spielte die Musikkapelle das Lied vom Guten Kamernden und beim Läuten der Totenglocke gedachten alle in einem stillen Vaterunser der Gefallenen, die im Kampf um Osterburken ihr Leben lassen mußten sowie der verstorbenen Häftlinge, die hier an der Endstation ihres Lebens angelangt waren und auf dem hiesigen Friedhof ruhen. Die Pfarrgemeinde, die sich während des Krieges dem besonderen Schutz und Fürbitte des hl. Josef anvertraut hatte, erneuerte ihr Gelöbnis: wenn die Stadtgemeinde aus den Wirren und Schrecken des Krieges heil davon gekommen ist, werde sie den St. Josefstag immer als besonderen Dank- und Erinnerungstag begehen und am „St. Josefsbild“ am Waldrand des Barnholzes eine Josefskapelle als Dank- und Votivkapelle errichten.

In der Folgezeit kam Osterburken in die amerikanisch besetzte Zone. Um nach dem südlichen Baden in die französisch besetzte Zone zu fahren, brauchte es eines Zonenpasses. Die amerikanische Militärregierung mit Sitz in Buchen baute langsam den Verwaltungsapparat auf. Bürgermeister Bauer wurde vorerst abgesetzt. Stefan Nunn und Wilhelm Pfoh verwalteten zunächst kommissarisch die Gemeinde und sprangen zum Besten der Gemeinde in die Bresche, um zu retten, was zu retten war. Jeden Tag erschien ein Vertreter der Militärregierung auf dem Rathaus, um neue Anordnungen zu bringen. Es kam dann die Zeit der Entnazifizierung, Vermögensabgabe, der Kennkarten, aber auch der amerikanischen Liebesgaben. Welche Freude als der erste Zug wieder durchs Tal schnaubte. Wer erinnert sich noch an die überfüllten Züge, an die „Kartoffelzüge“ vollgepfropft mit Kartoffelsäcken der „Mannemer Hamsterer“. Welche Freude, als die Post wieder funktionierte! Auf dem „schwarzen Markt“ wurden Zigaretten gegen Rasierklingen getauscht, Schuhe gegen Hemden, Zementsäcke gegen Blech usw. Die „Amis“ machten „Razzia“ und die Deutschen klauten ihnen wieder Benzin. Es kam cas viele Papiergeld der alliierten Militärbehörde. Am 20. Juni 1948 wander-


(178)

ten alle Papierscheine haufen- und bündelweise auf das Rathaus. Nach der Währungsreform mußte jeder mit glücklich 20 Deutsche Mark von vorn anfangen. An jenem Tag sank eine alte Welt in Trümmer und jeder war an jenem Tag gleich arm und gleich reich, falls er nicht Besitz und Liegenschaften hatte. Es kam die staatliche Neuordnung der Deutschen Bundesrepublik und unter Bundeskanzler Adenauer der neue Anfang und Aufstieg. Bei der Abstimmung über die Zugehörigkeit zum alten angestammten Lande Baden oder zu dem Südweststaat stimmten bei einer Wahlbeteiligung von 67.4 % 803 Befragte für den neuen Bundesstaat Baden-Württemberg, während 257 Befragte beim bisherigen Land Baden verbleiben wollten. Seit 1952 gehört Osterburken zum neuen Bundesstaat mit der Landeshauptstadt Stuttgart.

In den Nachkriegsjahren konnte die Stadtgemeinde an der staatlichen und wirtschaftlichen Aufwärtsentwicklung teilnehmen, die unter der zielbewußten und gewissenhaften Führung des Bundeskanzlers Dr. Konrad Adenauer einsetzte. Wertvolle Unterstützung erhielt die mächtig aufstrebende Stadtgemeinde auch von Seiten des Landkreises Buchen durch den tatkräftigen Landrat Schmerbeck. Eine kluge und auf weite Sicht planende Stadtverwaltung unter der unermüdlichen Initiative der Bürgermeister Schönhals und Keller, dazu der Unternehmungsgeist, Arbeitswille und zähe Fleiß aller aufbauwilligen Schichten der Bürger halfen mit Ordnung, Frieden und einen neuen Wohlstand in die Gemeinde zu bringen.

poi/stadtgeschichte/gebert1956.txt · Zuletzt geändert: 2019/10/31 10:54 von scheuerbrandt