Um die Vorgänge zu erklären, die zur illegalen Waffenverschiebung und letztendlich zu deren Aufdeckung geführt hatten,
mußte Dr. Neumaier die Zustände im Reich zu Beginn der Weimarer Republik veranschaulichen. Die Entwaffnungsbestimmungen
des Versailler Vertrages hatten zu unerträglichen Verhältnissen bezüglich der Sicherheit geführt. Die bolschewistische
Bedrohung, die sich im Spartakusaufstand im Ruhrgebiet und in den Münchener Ereignissen der Nachkriegszeit äußerte,
sowie die Angst vor einem Einmarsch der Franzosen führte zur Gründung von Selbstschutzverbänden und Bürgerwehren. Diese
wurden auf Drängen der Siegermächte 1920 von der Reichsregierung wieder verboten. Nur die bayerische Einwohnerwehr,
eine Organisation unter Leitung eines Forstrats Escherich und nach ihm „Orgesch“ benannt, konnte sich unter dem
Schutz der bayerischen Regierung halten, Württemberg und vor allem Baden, das als Grenzland zu Frankreich eine Invasion der Franzosen besonders fürchten mußte, wachten sorgsam darüber, die Orgesch in ihrem Staatsgebiet nicht Fuß fassen zu lassen.
Im Herbst 1920 schien dies der Organisation Escherich in Karlsruhe trotzdem geglückt zu sein. Unter Major a. D. Alfred
Kraus war dort eine Landesleitung aufgezogen worden. An der Spitze der Stabsleitung in Heidelberg stand ebenfalls ein ehemaliger Militär, Hauptmann a. D. Erich Damm, wie überhaupt alle wichtigen Positionen der Orgesch von arbeitslos gewordenen Offizieren gehalten wurden. Damm ist manchen älteren Einwohnern Osterburkens noch in Erinnerung. Er bereiste das badische Hinterland, um Mitglieder zu werben. Dabei ging er äußerst umsichtig zu Werke, hielt Vorträge, gründete Jagdvereine und schließlich die Technische Nothilfe, um dann endlich seine wahre Absicht vorzutragen. Osterburken und einige umliegende Gutshöfe wie der Dörrhof, die Marienhöhe und das ehemalige Kloster Seligental wurden zum Hauptaktionsgebiet der Orgesch im Bauland, die sich hier allerdings „Bund Freiheit und Recht“ nannte.
Ihre Mitglieder waren größtenteils Osterburkener, u. a. Beschäftigte des Finanzamts und des Bahnhofs. Vermutlich war sogar der damalige Bürgermeister eingeweiht. Das war wichtig, denn eines Tages kamen kistenweise Gewehre an, die als Maislieferungen deklariert waren. Das Gewicht verriet den wahren Inhalt und die Sache kam heraus. Der weitaus größte Teil an Waffen und Munition erreichte Osterburken als reguläre Bahnfracht in vier bis fünf Waggons. Diese wurden heimlich in der Nacht verladen und teils per Fuhrwerk nach Seligental verbracht, teils in der Kilianskapelle gelagert.
Der Schlossermeister J. Ellwanger, ein treues SPD-Mitglied, soll alles verraten haben, am 28. Mai 1921 beschlagnahmte die Sicherheitspolizei (Sipo) aus Heidelberg alle Gewehre aus der Kapelle. Einige Zeit später wurden auch in Seligental Gewehre und Maschinengewehre entdeckt und abgeholt. Der mutmaßliche Informant J. Ellwanger wurde von den Osterburkenern
boykottiert und hat den Ort bald verlassen. Die Orgesch-Anführer wurden verhaftet; es stellte sichjedoch heraus, daß man keine gesetzliche Handhabe gegen sie hatte. Sie mußten wieder entlassen werden.
Obwohl der badische Innenminister Remmele die Angelegenheit begreiflicherweise herunterspielen wollte, beherrschte
der Osterburkener Waffenfund im Frühsommer 1921 die badische Presse und verlieh Osterburken vorübergehend den Ruf
eines „terroristischen Widerstandsnests“. Diese heute in Osterburken fast unbekannten Vorgänge wurden vom Referenten
durch das Studium der noch teilweise erhaltenen Akten, der damaligen Presse und durch Gespräche mit älteren Einwohnern
bis in die Details wieder ausgegraben, was ihm mit lebhaftem Beifall gedankt wurde.