Am 19. Nov. 1846 war die Benediktion der 5. Kirche. Unter Beibehaltung des Turmes, durch den der Eingang zur Kirche führte, entstand „ein nüchterner Zweckbau in klassizistischen Mischformen ohne religiösen Stil und Kunstgeschmack.“16)
Beim Neubau der Pfarrkirche im Jahre 1846 ließen die Baumeister jeden Kunstsinn und
Schönheitsgefühl vermissen. Diese unverzeihliche Vernachlässigung jedes Stilempfindens
sollte durch eine würdi,ge und geschmackvolle Innenausstattung der Pfarrkirche wieder
einigermaßen gutgemacht werden. Schon im Jahre 1854, nachdem Pfarrer Werner als
Bauherr des Bauens müde war, wandte sich der neue und junge Pfarrverweser Friedrich
an das Ordinariat nach Freiburg wegen Beschaffung eines neuen Hochaltars, da der
Altar der alten Pfarrkirche nicht mehr wegen Alters verwendbar wäre. Bezirksbaumeister
Moßbrugger von Wertheim lieferte die Pläne zu dem heutigen, allzu massigen
und flächigen Hochalta,r, der ob seiner plumpen Formen wieder keine Bereicherung der
Kirche darstellte. Bildhauer A. Amersbach von Wertheim stellte im Jahre 1855 den
Hochaltar aus weißgra-uem Alabastermarmor aus den Steinbrüchen bei Kitz,ingen am
Main her und erhielt dafür 1609 fl. Das Altarbild des Kirchenpatrons St. Kilian und
seiner Gefährten Totnan und Kolonat wurde 1847 von Kunstmaler Schmitt aus Walldürn
gemalt. In die Nischen des un„;efügen Seitenanbaues wurden die Statuen des hl.
Petrus und Paulus aufgestellt. Der Altar ist nicht konsekri ert, sondern hat nur ein altare
portatile (Pfarrarchiv). Im Jahre 1894 wurde der Hochaltar von dem Walldürner
Kunstmaler Georg Schreiber für 768 Ma,rk renoviert. Der neue, nach den Plänen des Erzbischöfl.
Bauamts Heidelberg aus fränkischem Muschelkalk (Blaubank/Gold) gefertigte
Hochaltar wurde in der Passionswoche 1956 von der Firma Ellwanger, Osterburken
erstellt. Lieferant war die Firma Natursteinwerk Hofmann, Niklashausen. In der gleichen
Woche wurde auch der neue vergoldete Panzertabernakel aus der Kunstwerkstätte
des Meisters Josef Amberg, Würzburg, angdiefert. Zusammen mit den 6 handgetriebenen
Altarleuchten ist er ein Meisterstück moderner Goldschmiedekunst. Die Schauseite zeigt
den Heiland in seiner Verklärung auf dem Berge Tabor. Das Altargemälde in modernem
Ikonenstil von Kunstmaler Willi Jakob in Würzburg stellt die HI. Dreifaltigkeit dar,
in den Feldern Szenen aus dem Leben des HI. Kilian, des Kirchenpatrons.
Die beiden barocken Seitenaltäre wurden im Jahre 1855 aus der Stadtpfarrkirche in Bad
Mergentheim käuflich erworben, als dort die barocke Einrichtun(; entfernt und das
Innere der gotischen Bauart entsprechend neu eingerichtet wurde. Die Kirchenpflege in
Mergentheim meldet in einem Einnahmeposten vom 30. August 1855: ,, Von der Stiftung
Osterburken für die alten Seitenaltäre 125 fl.“ Im Jahre 1866 wurden die beiden stilvollen
Altäre von dem Osterburkener Vergolder Franz Alois Schmitt überarbeitet. Die
beiden neuen Altarbilder Mariä-Verkündigung und St. Sebastianus stammen von dem
Würzburger Kunstmaler Andreas Le,imgrub, sind aber ohne größeren künstlerischen
Wert. Am 2. April 1866 weihte Pfarrverweser Haas beide Seitenaltäre ein, für welche
auch die Katholiken von Wemmershof und Hergenstadt namhafte Beträge beigesteuert
hatten. Interessant ist auch das Gutachten des Heidelberger Oberbaurats Feederle vom
4. November 1865: ,,Wenn nun auch die von Mergentheim erworbenen Altäre den Formalismus
der Renaissance oder des Zopfstiles zeigen, während der Hauptaltar eine
ziemlich willkürliche Zusammenmischung von Einzelteilen wigt, welche einem Rundbogenstil
entnommen sind, so tragen wir doch keinen Augenblick Bedenken. diese Seitenaltäre
nach anständiger Herstellung als für die Kirche passend zu erkläre n, indem sie
für den Raum weder zu unbedeutend klein noch entsprechend entstellend zu groß sind.
Mit der von Vergolder Schmitt vorgeschlagenen Herstellungsart können wir uns in dessen
nicht einverstanden erklären, da wir es durchaus für verfeh lt erachten, an diesen
Altären gerade das Wahrhaftige, ihr sichtbares schönes Machwerk, die Holzfournierung in eingelegter Art durch eine kostspielige Obermarmorierung zu v,erdecken. Wir sind
entschieden der Meinung, es dürfe nur das Antipendium, welches nur gemalt erscheint,
Marmorierung erhalten sowie die Tabernakelnischen, während alle fournierten Teile
bloß ,gereinigt, neu geschliffen und schön lackiert werden sollen„. Es geschah aber nicht,
sondern wurde blöd übermalt.
Pfarrverweser Haas verbrachte am 17. August 1869 in den Sebastianusakar eine zinnerne
Kapsel mit einer Reliquie des hl. Wenddin, die im alten Altar gefunden worden
war.
Im Jahre 1865 wurde die Kirche mit 15 Kreuzwegbildern geschmückt. Eine Sammlung
in der Pfarrgemeinde brachte den Betrag von 575 fl. auf. Auch die Hemsbacher, Hergenstadter
mit Stabhalter Johannes Link und die Adelsheimer steuerten zu diesem Betrag
bei, wobei Rittmeister Baron von Adelsheim 37 fl. spendete. Der Vergolder Schmitt erhielt
für jedes Bild der Kreuzwegstationen 37 fl., Schreinermeister Franz Nürnberger für
jeden Rahmen 16 fl. An Kiliani 1865 wurde der Kreuzweg feierlich eingeweiht durch
einen Pater aus dem Minoritenkloster Würzburg, der „auch die italienischen Arbeiter von
hier und auswärts beichthören wird, die beim Bahnbau beschäftigt sind“.
Der Taufstein in einfacher gotischer Formgebung wurde aus der alten Kirche übe,rnommen.
Auch die barocke Kanzel stand schon in der früheren Kirche und düdte
aus der Zeit stammen, da der Turm ,erhöht wurde. An der Brüstung sind der hl. Kilian
und die viier Evangelisten in Nischen zwischen gedrehten Säulen aufgestellt, kleine,
aber zierliche Figuren. Der Säulenfuß ist modern. Der Schalldeckel in seinen streng
klassizistischen Formen scheint etwas jünger zu sein.
Drei Glocken besitzen nicht nur einen hohen Altertumswert, sondern sind auch Prachtstücke
der zeitgenössischen Glockengießerkunst.
a) die St. Kiliansglocke, Gußjahr 1732, Ton fis, Durchmesser 101 cm, 658 kg, ist eine
Stiftung des Oberamtmannes Graf von Ostein, eines Neffen des bau- und kunstsinnigen
Kurfürsten Lothar Franz von Schönborn. Um den Hals der Glocke läuft folgende
Inschrift:
GOTT UND SEINEM EVANGELIUM UND KILIAN DER KIRCHENPATRON
ZU EHREN UND LOB GOSS MICH JOHANN ADAM ROTH.
Am Mantel ist ein großes kurfürstlich-erzbischöfl. Wappen angebracht, überragt von
Kurhut, Schwert und Stab; im vier,geteilten Schild links oben und rechts unten das
Mainzer Rad; rechts oben und links unten ein halber ste,igender Löwe. Es ist offenbar
nach der chronistischen Unterschrift:
SUB PHILIPPO CAROLO ARCHIEPISCOPO MOGUNTINENSI,
das Wappen des 1732 auf den Mainzer Bischofsstuhl gelangten Philipp Karl von Eltz-Kempenich.
Auf der andern Seite ist kleineres Wappen mit einem steigenden Hund im
Schilde zu sehen; die Unterschrift nennt als Träger ,den kurfürstEchen Amtmann zu
Amorbach, Buchen, Walldürn, Burcken: Freiherr Johann Wolfgang Franz von Ostein:
ET ]OHANNE FRANCISCO WOLLFGANGO AB OSTEIN SATRAPA IN
A. B. W. ET B REFUSA FUI.
Die durch größere Formen (hier durch Schrägstellung) hervorgehobenen Buchstaben ergeben
die Jahreszahl 1731, während unter dem auf der dritten Mantels,eite dargestellten
Bilde eines Bischofs mit Stab und Schwert (Kilian) die in Anbetracht des Regierungsanfanges
des Erzbischofs Phil,ipp Karl von Eltz wohl richtigere Jahreszahl 1732 steht.
Unterhalb der oberen Haubeninschrift entwickelt sich e~n sehr schöner Rankenfries,
an dem eine r,eiche und köstliche Girlande aus großen Traubenbündeln und lustigen
Rankenvoluten mit Engelköpfchen in der Mitte hängt. Auch an den unteren Rand legt
sich noch eine geschmackvolle Rankenbordüre. Das Ornament, das auch gut ausgegossen
ist, macht die Osterburkener Glocke zu einem Prachtstück der Gießkunst des 18.
Jahrhunderts, in jedem Fall zu einer der reichsten des badischen Hinterlandes aus dieser Zeit (Prof. Dr. J. Sauer).
b) Maria-Annaglocke, im Volksmund: das Stegenglöcklein, früher Bürgerglöcklein genannt; Ton: h; Durchmesser: 72.5 cm; Gewicht: 210 kg; Gußjahr 1447. Schlankes Profil, nur mit Wulst in der unteren Kehle, verhältnismäßig steil aufsteigendes Haubendach. Zwischen zwei dicken Schnüren sitzt am Halse eine schöne, gut geschnittene gotische
Minuskelinschrift, deren einzelne Worte durch Sterne getrennt sind: hilf * maria * anna (sic = anno) dni m. ccc. xxxx. vii. = 1447. Entsprechend der früheren Entstehungszeit fehlen andere Ziermotive.
c) Marienglocke; im Volksmund Säuglocklein genannt ; undatiert aber wohl auch aus
dem 15. Jahrhundert, 57 cm, 112 kg, Ton: fis. Profile der Glocke sind gleich wie bei
der obigen, ebenso die gotische Minuskelbeschriftung. Die Inschrift am Halse enthält
nur zwei Worte: Ma ,:- ria s. W.ei t1eres fehlt, der vorhandene Raum ist durch Sterne ausgefüllt.
Wegen ihres hohen Kunst- und Altertumswertes wurden diese wertvollen ·Glocken im
ersten Weltkrieg 1914 - 18 nicht abgeliefert. Im zweiten Weltkrieg 1939 - 45 wurde
die kleinste Glocke trotz ihres Seltenheitswertes beschlagnahmt, aber nicht eingeschmolzen.
Im Spätjahr 1949 kehrte das Marienglöcklein (Säuglöcklein) aus dem Glockenlager
in Hamburg als „Spätheimkehrer„ wieder in den Glockenturm zurück. Im Volksmund
wird dieses älteste Glöck!,ein „Säuiglöckle,in“ genannt, weil nach einer alten Überlieferung
im 30-jährigen Krieg das Glöcklein auf dem Kirchberg vergraben und vom Schweineh,
irten der Gemeinde wieder gefunden wurde, als die Schweine das Glöckl<ein herausgewühlt
hatten. Die Josefglocke (1934; 520 kg) und die Christkönigsglocke (1939; 1155 kg -
eine Stiftung von prakt. Arzt Dr. Link) mußten im Hitlerkrieg abgeliefert werden
und wurden ein Opfer des Krieges. Noch in diesem Jahr wira die Heidelberge·r Gußwerkstätte
Schilling drei neue Glocken für die Pfarrkirche gießen: Christkönigs-, St.
Josef- und Maria-Friedenskönigin-Glocke. Das neue fünf stimmige Geläute · wird ein
Gesamtgewicht von 62 Zentner haben.
Als ein Landser in Rußland erfuhr, daß die Glocken s-einer Vaterstadt dem fürchterlichen
Kr,ieg geopfert werden mußten, griff es ihm ans Herz, und er schrieb folgendes
Gedicht nach Hause:
Abschied von den Glocken
Drei Glocken hört ich klingen
wohl eine Stunde lang.
Es war kein frohes Singen
es tönt wie Grabgesang.
Drei Glocken sah ich schweben
hernieder von dem Turm hinaus
und fühlt mein Herz erbeben
ob der Gefühle Sturm.
Drei Glocken sah ich stehen
hart neben Kreuz und Grab
sie müssen sterben gehen
als heilige Opfergab.
Drei Glocken sah ich fahren
hinaus in blutigen Krieg
mög sie der Herr bewahren
Er schenk uns Heil und Sieg.
Rußland, Wiasrna, 7. April 1942
Ludwig Walzenbach
Eine gründliche Renovation erfuhr die Pfarrkirche in den Jahren 1878 und 1913/14. In letzterem Jahr wurde die Empore vergrößert und von außen zwei Empore-Aufgänge an den Turm angebaut. Durch die Stifung des Dekan Leuser und anderer Stifter wurden sechs farbige Medaillons in die zwei Chor- und Langhausfenster eingesetzt. Im Jahre 1914 kam die elektrische Beleuchtung. Während der Inflationszeit 1923 baute der von hier gebürtige Orgelbaumeister Leopold Nenninger in München eine neue Orgel mit 23 Registern und erhielt dafür eine Million Papiermark, für die er nicht einmal in München ein „Maß!„ erstehen konnte. Stadtpfarrer Kuhnmünch vergrößerte 1928 die Sakristei, in deren Unterkellerung 1938 die Kirchenheizung eirngebaut wurde.
In den Visitationsberichten der vergangenen Jahre wies die Kirchenbehörde immer wieder darauf hin, daß das Gotteshaus in seinem Innern zu düster und dunkel ·und verschmutzt sei und eines Innenanstriches dringend benötige, „sobald die Materialien wieder beschafft werden können“.
Im Herbst 1951 wurde eine Spendensammlung durchgeführt, deren Erlös die Finanzierung
sicherstellte; es wurden dank der Opferfreudigkeit rund 15 000 DM aufgebracht.
Unter der Oberleitung des Herrn Oberbaurats Ohnmacht vom Erzbischöfl. Bauamt Heidelberg führte Herr Willy Eckert, Restaurator und Kirchenmaler in Bad Mergentheim, im Monat Mai des Jahres 1952 die Renovation aus. Die Wände erhielten eine helle freundliche Farbe, die nüchterne Holzdecke wurde in längs gestreckte Felder malerisch aufgeteilt; die Querbalken künden in künstlerischer Zier das Apostolische Glaubensbekenntnis. Als sehr wertvolle Kleinodien entpuppten sich die beiden barocken Seitenaltäre. Unter dem vierfachen Farbanstrich kamen wunderschöne Intarsien zum Vorschein. Diese stilgerecht zu behandeln, war das besondere Bemühen des Restaurators. Beim Muttergottesaltar kam nach Entfernung des wertlosen Altarbildes eine Figurennische zum Vorschein; durch Vermittlung des Erzb. Bauamts erwarb das Pfarramt eine edle Barock-Madonna aus dem Familienbesitz des Herrn Medizinalrats Braun in Heidelberg und diese wurde nach entsprechender Neufassung in der Nische aufgestellt. Der rechte Seitenaltar wurde der Symmetrie wegen mit einer Nische versehen: eine wertvolle Barockfigur des Hl. Josefs, die in der Kilianskapelle untergestellt war, wurde neu gefaßt und ziert jetzt in seiner goldenen Pracht den Altar.
Die alten, überdimensionalen Beichtstühle waren teilweise stark verwurmt und vermodert; sie waren nicht mehr erneuerungswürdig. So wurden nach den Plänen des Bauamts zwei neue Beichtstühle in Auftrag gegeben, die den praktischen und künstlerischen Anforderungen entsprechen. Herr Schreinermeister Anton Dörrler hat sie geliefert. Ein glänzendes Zeugnis der Tatkraft und Opfergesinnung legten die Frauen und Jungfrauen ab, als es galt, die Kirchenbänke abzulaugen. In drei Tagen leisteten sie schwierige Arbeit und ersparten der Kirchenkasse dadurch einen Betrag von rund 1000 DM.
Die ätzende Beize hatte freilich den meisten Helferinnen schmerzende Wunden beigebracht; um so höher ist ihr Opfersinn zu werten.
Wer die Kirche mit ihrem düstern Gesamteindruck aus den früheren Jahren noch in Erinnerung hat, wird freudig überrascht, wenn er heute die hellen und freundlichen Farben auf sich einwirken läßt.